BüW bei „Zürich liest“ 26.10.18

„Zürich liest“ ist das grösste Literatur- und Buchfestival der Schweiz, dessen Festivalzentrum sich in einem Restaurant mit dem Namen „Karl der Große“ befindet. Statt Schreibtisch gibt es zwei kleine Restauranttische. Immerhin müssen alle Festivalteilnehmer durch das Restaurant an mir vorbei. Siehe da: ich kann gar nicht so schnell aufbauen, wie Menschen ihren Wortmüll bei mir ablassen wollen. Manche stehen schon eine Weile an, haben richtig Druck, Wörter wegzuwerfen, zu verstoßen.

„Hass“ muss als erstes weg. Typischer Versuch, etwas Unangenehmes, Böses durch einen magischen Prozess zu transformieren und dadurch zu bannen. Hilft selbst, wenn man nicht dran glaubt. Natürlich weiß die Dame, die das Wort verstößt, dass es jetzt nicht weniger Hass in der Welt gibt. Trotzdem ist sie sichtbar erleichtert.

Doch was geschieht, wenn wir die unangenehmen Gefühle in der Welt nicht mehr benennen können? Was wird aus der leckeren Hass-Avocado, aus dem Tiefseetaucher Hans Hass und all seinen Namensgenossinnen?

„Starkregen“ ist das starke Erregungswort einer anderen Dame. Schrecklich. Sie schaudert, weniger ob des unangenehmen Wetterphänomens, als wegen des in ihren Augen unpassenden Begriffes, den sie als Modewort sieht. Überall ist immer von „Starkregen“ die Rede. Was soll das sein?

„Eckenradauto, Geschäftsliebe, Starkentutto“. Eine weitere Dame, deren Schweizerdeutsch ich kaum verstehe, dreht meine Tauschidee einfach um. Anstatt nervige, aber echte Wörter gegen Phantasiewörter einzutauschen, bringt sie mir gut ein Dutzend selbst erfundener Begriffe.

Ich freue mich natürlich über diese sprudelnde Begriffsfantasie, die offenbar so mächtig ist, dass jedes neu gefundene Wort gleich wieder weg muss, um Platz für ein noch neueres Wort zu machen. Leider kann ich ihr im Austausch nur weitere Phantasiewörter anbieten, die sie sich anschaut, aber bald wieder zurück bringt. Immer wieder umkreist sie meinen Tisch, produziert weitere Wörter, erregt sich teilweise lautstark aber unverständlich.

Auch ein professoral anmutender, bedächtiger älterer Herr ist ein Dauergast, der sich immer wieder zu mir setzt, um über schreckliche Wörter nachzugrübeln. Nach und nach erhalte ich von ihm das „Mega – Inklusions – Narrativ“.

Ein vielleicht 12jähriges Mädchen möchte ihre Sprache aufräumen. „Okidoki“, „Dumme Nuss“, „Muff“, „Tussi“ und „Angeber“ müssen dran glauben, aber auch das eigenartige „Leisetierchen“. Warum das denn bloß, denke ich? Ein ungeliebtes Kosewort vielleicht? Leider hat es das Mädchen eilig, wirft mir ihre gesammelten Werke auf den Tisch und verschwindet ohne Erklärung in der Menge.

„Einkrauten“ ist mein Favorit an diesem Abend. Der Herr, der das Wort loswerden möchte, kann es nicht recht erklären, aber ja, es klingt pervers, oder nicht? Nahe an „einkoten“. Etwas übel riechendes, Gärendes vermutlich.

In J.L. G.Leopolds „Handwörterbuch des Gemeinnützigsten und Neuesten aus der Ökonomie und Haushaltskunde“, Leipzig 1801 heißt es unter dem Stichwort „Bekrauten, Einkrauten“: „Speisen die man kochen will, in einen Topf tun, denselben wohl verdeckeln, und in Gegenden wo man mit Rohr oder Stroh feuret, dieselben in die Asche, welche Kraute heißet, verscharren“.

Gegenwärtig findet sich der Begriff auch in Foren von „Aquarienfans“, die Bedenken haben, ihr Aquarium „so richtig einzukrauten“

In Grimm´s Wörterbuch begegnet mir der „Krauter“, ein Begriff mit dem die Gesellen ihren Handwerksmeister bezeichnen, aber auch ein (vermutlich gescheiterter) Meister, der sich entschließt bei anderen Meistern als Geselle zu arbeiten.
„Krautern“ ist bei Grimm „pfuschen“.
Ein „Krauter“ ist hier aber auch ein unruhiger, jähzorniger, widersetzlicher Mensch.
Auch an anderen Stellen finde ich den „kleinen Krauter“ als kleinen Handwerker oder den „alten Krauter oder Krauterer“ als alten Sonderling. In Österreich offenbar noch gebräuchlich.

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