„Wenn du ein Donaugedicht schreibst, kann ich dich für das „Tage der Donau“-Festival einladen, hatte mir Peter Sragher vor einem halben Jahr angeboten. Was aber habe ich zur Donau zu sagen? Flüsse sind nicht greifbar. Sie entziehen sich. Sie verschweigen mehr, als sie preisgeben“.
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MO, 21. AUGUST 2017
Tage der Donau – Ein Essay von Dirk Hülstrunk
FLUSSGEDICHTE UND BALKAN BEATS IN GALATI
Ein Essay von Dirk Hülstrunk
Sonnenblumenfelder. Halb Rumänien scheint aus Sonnenblumenfeldern zu bestehen. Der rumänische Dichter und Übersetzer Peter Sragher hat mich direkt am Flughafen Bukarest gemeinsam mit dem dänischen Dichter Claus Ankersen in ein Taxi gesetzt. In hohem Tempo brausen wir zu dritt durch die hochsommerliche schwüle Hitze. Dreieinhalb Stunden Fahrt nach Galati. Sragher und Ankersen hatte ich bereits 2013 bei einer schrägen Tour durch Finnland und Estland kennengelernt. Schon 2014 wollte mich Peter Sragher nach Rumänien einladen, da hatte ich keine Zeit. Jetzt also Sonnenblumenfelder, Melonen und Kartoffeln, gelegentliche Pferdekarren – tatsächlich. Schließlich wachsen die wuchtigen Türme des riesigen Stahlwerkes von Galati aus der Landschaft. Industriestadt an der Grenze zu Moldawien, größter rumänischer Donauhafen, Universitätsstadt, kurz vor dem Donaudelta an der Grenze zu Moldawien, eine Stadt, von deren Existenz ich bis vor kurzem keine Ahnung hatte, obwohl sie auch einen deutschen Namen hat: Galatz.
Im Garten des Hotel Mercur haben sich die internationalen Autoren des Literaturfestivals „Tage der Donau“ zu einem ersten Fisch-Dinner eingefunden. Der Beat-Poet-Wikinger Claus Ankersen aus Dänemark, immer auf der Suche nach dem stärksten Bier. Cornelia Travnicek, eine junge Frau aus Österreich mit beeindruckend langen Dreadlocks und Chinesisch-Kenntnissen und einem aktuellen Lyrikband im Stil von Sylvia Plath im Gepäck. Der professoral wirkende Ägypter Tarek Eltayeb mit seiner Frau Ursula, Islamwissenschaftlerin und Übersetzerin aus Wien. Schließlich die hochgewachsene und schweigsame estnische Poetin Triin Soomets, die ebenfalls mit ihrem Partner angereist ist.
In unserer Festivalmappe finden wir unsere Gedichte in einem literarischen Almanach mit dem eigenartigen Titel „Clepto-Hydra“ und in einer Broschüre des „Kulturzentrums Untere Donau“ mit dem Schwerpunkt: Schriftstellerselbstmorde.
Später, an der Donaupromenade: Buden und Balkan Beats von den Party-Hausbooten, Scharen junger Leute unterwegs, Hipster und Hippies. Kinder rennen mit Leuchtschuhen und Laserschwertern durch die Nacht, Jugendliche zischen auf blinkenden Hoverboards waghalsig durch die Menge. Liebespärchen schlendern Hand in Hand. Buden verkaufen Getränke, Chips, Eis, Nippes. In unregelmäßigen Abständen ragen riesige konstruktivistische Stahlskulpturen in den Nachthimmel. Diese ebenso eindrucksvollen wie unsozialistischen Skulpturen wurden in den 1970er Jahren von verschiedenen Künstlern im Rahmen eines Skulpturen Workshops geplant und von den Arbeitern der Stahlwerke ausgeführt.
Wenn du ein Donaugedicht schreibst, kann ich dich für das „Tage der Donau“-Festival einladen, hatte mir Peter Sragher vor einem halben Jahr angeboten. Was aber habe ich zur Donau zu sagen? Flüsse sind nicht greifbar. Sie entziehen sich. Sie verschweigen mehr, als sie preisgeben. Auch wenn sie beständig vor sich hin flüstern, glucksen und rauschen, im Grunde versteht man sie nicht. So ein Fluss hat etwas Einlullendes. Vielleicht bemerken wir gar nicht, wie uns der Fluss belauscht. Wie uns der Fluss täuscht. Wie er sich tarnt. Oder sie. Lady Dunărea, die Grande Dame der Flüsse hat sicher alle Tricks auf Lager. Schlängelt sich durch zehn Länder Europas, kennt keine Grenzen, ist sich selbst Grenze genug. Jeden Zöllner hat sie bestochen. Von der Antike bis heute. Völker nach Belieben vermischt. Globalisierung pur seit uralten Zeiten. Ein Strom von Waren, Behörden und Kommissionen und Armeen. Kelten, Daker, Römer, Kreuzzügler, Osmanen, Russen, das Habsburger Reich, die Jugoslawien-Kriege. Straflager. Fluchtweg.
verdacht
wir müssen reden
donau
du hast von nichts gewusst
donau
sagst du
politik interessiert dich nicht
donau
sagst du
da kommen jetzt fakten ans licht
donau
tief unter deiner oberfläche
verborgen
einer deiner nebenflüsse
konnte das wasser
nicht halten
donau
wer bist du wirklich
donau
was hast du uns vorgespielt
donau
und wer hat dich
beauftragt
donau
kreuz und quer durch
europa zu schnüffeln
donau
alle grenzen zu überfliessen
durch berge
einfach durchzusickern
und selbst das weite meer
zu infiltrieren
donau
wer bist du wirklich?
wen hast du belauscht
und wen verraten
und wem hast du
deine seele verkauft
und wo warst du eigentlich
am 11. september
donau
keiner hat dich gesehen
an jenem tag
*im Almanah Clepto-Hydra veroeffentlicht.
Vormittag um 11 Uhr: poetische Donausitzung im Stadtrat. Langer Konferenztisch mit dem Wappen von Galati, gelber Anker mit zwei Sternen auf rotem Grund. Namensschilder, eine Tasse türkischer Kaffee, Wasser, Kekse und ein Konferenzmikrophon mit Taste für die Dichter. Ultrabequeme Ledersessel, in denen man sofort einschlafen möchte. Im Hintergrund drängen sich Journalisten, Fotografen und ein Filmteam.
Begrüßung durch den Stadtrat und das Kulturzentrum „Untere Donau“. Das erste Literaturfestival im Rahmen der „Tage der Donau“. Startschuss für ein jährliches Festival, hofft der Stadtrat.
Außer den Journalisten sind fast alle Anwesenden Autoren. Nach und nach stehen alle auf und lesen ihre Oden an die Donau im Original. Die Übersetzungen liest Peter. Jetzt fällt mir auf, dass mein Donaugedicht gar nicht so nett ist. Ich habe der Donau unterstellt, Teil eines Überwachungssystems zu sein, sozusagen ein „donaukritisches“ Gedicht. Natürlich ist es absurd, einen Fluss zu kritisieren. Hoffe, dass man mir das nicht übel nimmt. Natürlich sagt niemand etwas.
Lesemarathon. Neben den fünf internationale Gästen lesen auch zwei moldawische Dichter und eine Reihe rumänischer Autoren. Zum Abschluss posieren wir mit der Kulturbeauftragten und bekommen eine Papiertüte mit einem Geschenk des Stadtrats überreicht.
Schon am Vormittag war es heiß. Am Nachmittag verlassen wir die klimatisierten Räume und stellen uns der schwülen Donaurealität. Donaugedichte müssen an der Donau gelesen werden. Ein Pavillon an der Uferpromenade wird zur Bühne. Das ferne und bescheidene Publikum – überwiegend andere Autoren – schmort auf den Steinstufen eines Amphitheaters in der prallen Sonne. Unter einem Maulbeerbaum zwei Polizisten, die aufmerksam unsere gesamte Lesung verfolgen. Schade, dass die abends belebte Promenade nachmittags fast ausgestorben ist.
Schade, dass wir wenig Zeit finden, mit unseren rumänischen Kollegen zu sprechen. Es ist so heiß, dass es schwierig ist, überhaupt einen Satz zu formulieren, der nicht vom Blatt abgelesen wird. Zwei Stunden schwitzen wir uns die Poesie aus dem Leib. Der Flussgeist lässt sich nicht blicken. Teilnahmslos fließt die Donau an uns vorbei. Sie macht ihr Ding wie immer. Sie lässt sich nicht beschwätzen und nicht beschwören. Es sind die Menschen, die das Reden über Selbstverständliches brauchen. Brücken. Warum gibt es hier eigentlich keine Brücken über die Donau? Sind unsere Gedichte solide genug, um auf die andere Seite zu kommen? Immerhin hatten sie die Kraft uns hierher zu bringen und von einer Sprachseite auf eine andere zu springen. Auch wenn der ein oder andere Schuh dabei verloren ging und wir unsere eigenen Texte nicht mehr verstehen.
AM ENDE DER DONAU – SULINA
Nach den poetischen Donauspekulationen geht es am nächsten Tag zur Sache. Auf der Suche nach echten Donauerlebnissen bricht die internationale Poetentruppe mit Claus, Tarek, Cornelia und Triin gemeinsam mit Peter Sragher ins Biosphärenreservat Donaudelta auf, Europas größtes Sumpf- und Schilfgebiet, durch das nur Wasserstraßen führen, in denen Störe räubern und Pelikane gemütlich fischen.
In Galati müssen wir mit der Fähre die Donau überqueren. Eine Brücke gibt es weit und breit nicht. Am anderen Ufer grasen wilde Pferde. Wir nehmen aber den Bus zur Kreisstadt Tulcea. Hier enden die Straßen. Wir müssen auf den Fluss. Das Schiff ist vollgestopft mit Menschen, Tüten und Taschen und Koffern, Gemüsekisten, Getränkepaletten, Waschmaschinen und Bohrmaschinen und allem, was der Mensch so braucht, wenn er nicht täglich ins Kaufhaus gehen kann. Alle Waren müssen auf dem Wasser transportiert werden. Viele Frauen tragen die traditionellen Blusen mit den bunten Stickereien und wedeln sich mit Fächern Luft zu. Ein ukrainischer Frauenchor singt fast den ganzen Weg über melancholische slawische Weisen gegen den Balkanpop aus den Lautsprechern. Die stämmigen Männer teilen selbst gebrannten Schnaps und Wurst mit uns. Die Donau teilt sich in drei Arme auf. Vier Stunden lang folgen wir dem Sulina-Arm, der als Kanal ausgebaut wurde und auch so aussieht. Vier Stunden bis Kilometer Null.
In Sulina ist die Donau am Ende, löst sich im Schwarzen Meer auf. In Sulina gibt es keine Straßen zur Außenwelt. Nur auf dem Wasser erreichbar. Nicht nur die Donau geht nicht mehr weiter. Auch die Zeit scheint still zu stehen oder unmerklich zu versickern. Eher ein Dorf. Von den sechs, nach Zahlen benannten Längsstraßen hat man nur die ersten drei gepflastert. Die Konservenfabrik ist eine Ruine, die Werft geschlossen, der alte Leuchtturm außer Betrieb. Das große Hotel an der Promenade …eine Ruine. Die Farben der einstmals bunten Fischerkaten mit den hübsch geschnitzten Dachbalken sind verblasst. Die reetgedeckten Dächer meist undicht und verrottet. Oft liegt noch ein Wellblech über dem defekten Schilfdach. Auf den staubigen Straßen mehr wilde Hunde, Kühe und Pferde als Menschen. Gerippe von Booten. Phantastische wilde Blumen am Wegrand. Hinter den hohen Schilfzäunen pralle Gärten voller Aprikosen, Mirabellen, Kirschen, Maulbeerbäumen, Satellitenschüsseln. Der Schrei der Hähne und die angedickten Stimmen aus überdimensionierten TV-Geräten. Der Kuckuck ruft. Auf den Strommasten Storchennester. Viele Schiffe am Hafen sind rostig. Viele Häuser sind verrammelt und stehen zum Verkauf. Mitten im Schilf ein riesiger verfallener Verwaltungsbau. Kühe dösen vor dem Eingang über dem ich lese: Ministerium für Tourismus.
Ein idealer Ort für ein Literaturstipendium. Ein Ort, an dem Gedichte nicht nur Wasser, sondern auch Zeit überspringen können, in denen sie reifen können, wie das Obst in den Gärten, in denen sie die Innenwelt mit der Außenwelt befruchten. Zum Beispiel in diesem Häuschen. Peter deutet auf eines der verrammelten traditionellen Holzhäuschen, das in einem großen, verwilderten Garten vor sich hin döst. Kurz entschlossen ruft er die Nummer unter dem „zu verkaufen“ Schild an.
Eine Frau in Moldawien meldet sich und beginnt ausschweifend ihre Familiengeschichte zu erzählen. Am Verkauf scheint sie nicht interessiert.
Vor einem anderen verlassenen Haus treffen wir ein Rentnerpaar, dass uns von den alten Zeiten erzählt, der Arbeit im Hafen, in der Schiffswerft und der Konservenfabrik. Eine Zeit, in der es Zentralheizung gab! Jetzt müssen sie mit Holz heizen. Jetzt gibt keine Arbeit. Nur Fischfang und im Sommer ein paar rumänische Touristen. Donauliebhaber. Angelfreunde. Die Saison ist kurz, eigentlich nur Juli und August. Danach ist wieder alles wie ausgestorben. Wenn im Winter die Donau zufriert, ist Sulina von der Außenwelt abgeschnitten, muss per Hubschrauber versorgt werden. Mit der winzigen Rente können sie fast nichts kaufen. Überleben können sie nur als Selbstversorger. Gemüse, Obst, Kartoffeln, Obst aus dem Garten. Fische aus der Donau. Ein paar Hühner für die Eier und den Sonntagsbraten. Ein paar Kühe für die Milch. Für die Alten ist das Leben hart, aber machbar. Für die Jungen gibt es keine Perspektive. Die weiterführende Schule hat dicht gemacht. Die Jugend muss in die siebzig Kilometer entfernte Kreisstadt Tulcea.
Auf einem umgekippten Pferdekarren spielen Kinder. Sie erzählen, dass der Vater das Auto verkauft hat, und jetzt mit dem Pferdewagen das Gepäck der Ankömmlinge vom Hafen transportiert. Benzin war zu teuer und wohin sollte man hier mit dem Auto fahren.
Aber es gibt auch Fortschritte. Handyempfang und Internet funktionieren. Ein riesiger Sendemast ragt hinter der orthodoxen Kathedrale empor. Der Supermarkt ist gut ausgestattet. Es gibt eine Reihe guter Fischrestaurants mit fantastischen Hecht- und Störgerichten in vielen Variationen. Es gibt einen endlosen, fast menschenleeren Sandstrand mit einer kleinen Strandbar. Wem die drei Kilometer zwischen Zentrum und Strand zu weit sind, kann in eines der hin- und herbrausenden Taxis steigen, fast die einzigen Autos im Ort. Es gibt einige Neubauten, teils mit schreiend roten Plastikdächern, teils traditionell mit Schilfdach, einige Hotels und Pensionen. Es gibt ein modernes Donau-Informationszentrum. Überall bieten Einheimische Bootstouren durch das Delta an.
In einem kleinen Motorboot erkunden wir das Labyrinth der kleinen Wasserstraßen im Delta. Ein verwirrendes Dickicht aus Schilf, Schlingpflanzen, tief hängenden Weiden, Seerosenteppichen mit weißen und gelben Seerosen. Mehrfach muss unser Bootsführer die Schiffsschraube reinigen. Überraschend öffnen sich die schmalen Kanäle zu großen Seen, auf denen Pelikankolonien schwimmen und sich von uns nicht stören lassen. Andere Kanäle führen an Sandbänken vorbei, auf denen sich Kühe sonnen oder im Wasser abkühlen. Auf fast jedem Strommast ganze Storchenfamilien.
Pferde sind überall. Sie streunen durch die Straßen, zwischen den alten Fabriken oder grasen am Ortsrand. Sie scheinen niemandem zu gehören. Über 2000 wilde Pferde soll es mittlerweile in der Region geben. Ehemalige Arbeitspferde, die mit der Auflösung der Kolchosen freigelassen wurden. Mittlerweile beklagen Umweltschützer Schäden durch die unkontrollierte Pferdevermehrung.
Vor der haushohen grauen Wand eines Frachtschiff aus Moldawien tanzen Menschen in bunten Trachten zu krachender Volksmusik aus Lautsprechern. Es dauert einen Augenblick, bis wir verstehen, dass hier die griechische Gemeinde von Sulina feiert.
Es war einmal. So wird mir erzählt. Ein anderes Sulina. Ein multikulturelles Wirtschaftszentrum. Ein bedeutender Ort, mit schicken Cafés, Theatern, zahlreichen Firmensitzen, Reedereien, mehrsprachigen Schulen, Konsulaten. 1856, nach dem Ende des Krimkrieges, wurde Sulina Sitz der Europäischen Donaukommission. Der Sulina-Arm der Donau wurde zum Kanal ausgebaggert. Die Stadt wurde zum Freihafen erklärt. Händler, Diplomaten und Seeleute aus aller Herren Länder bevölkerten die Straßen. Vor allem Griechen, Engländer und Türken waren im Schiffsgeschäft unterwegs, aber auch Russen, Deutsche, Franzosen. Ende des 19. Jahrhunderts machten die griechischen Einwohner über die Hälfte der Gesamteinwohnerzahl aus.
1933 beschrieb der Autor und zeitweise Hafenkommandant Eugeniu P. Botez unter dem Pseudonym „Jean Bart“ diese kosmopolitische Atmosphäre des Freihafens und sah bereits den Niedergang voraus. 1948 wurde die Donaukommission aufgelöst. Die meisten Ausländer, ihre Firmen, Reedereien und Konsulate verließen den Ort. Auch der Ausbau anderer Häfen und der Bau des Schwarzmeerkanals nach Constanta haben Sulina zwar nicht das Wasser, aber die Bedeutung abgegraben. Neben den Russisch sprechenden Lipowanern, ist die griechische Gemeinde ein letztes Überbleibsel der kosmopolitischen Zeit.
Die Geschichte erinnert an die Fragilität aller Zivilisation, aller Entwicklung. Es geht nicht immer nur vorwärts. Komplexe Strukturen zerbrechen irgendwann wieder. Auch blühende multikulturelle Gesellschaften können untergehen, wenn die Wirtschaft nicht mehr funktioniert.
Am Ortsrand von Sulina ein Schiffsfriedhof. Mächtige surreale Skulpturen aus rostigen Metallplatten, in den Himmel ragenden Schiffsschrauben. Vermutlich die Überreste eines Schiffsunglückes.
„In der Donau ertrunken“ ist eine häufige Inschrift auf den alten Grabsteinen des Friedhofs von Sulina. Moslems, Juden, Katholiken und Orthodoxe sind hier begraben, gemeinsam mit zahlreichen Ausländern, überwiegend britische Seeleute. Auch einige deutsche Namen finde ich auf den alten Grabsteinen. Tod durch Ertrinken. Tod durch Cholera. Tod aufgrund des Klimas. Tod durch den Zusammenstoß zweier Schiffe. Plötzlicher Tod auf See. Vor der kleinen Kapelle steht schief eine alte Leichenkutsche. Irgendwo soll ein Piratengrab sein. Ich finde es nicht. Der Kuckuck ruft.
Wozu Poesie? Diese Frage taucht am letzten Tag unseres Aufenthaltes auf, während der Unterhaltung über die verschiedenen Zubereitungsformen des Donaufisches. Eine Killerfrage, auf die wir sofort tausend gut eingeübte Antworten haben. Die Donau braucht vermutlich keine Poesie. Weder Stör noch Pelikan haben ein Ohr für Gedichte. Die Donaupferde brauchen keine Poesie. Und die arbeitslosen Werftarbeiter? Die Fischer und Lotsen? Die Taxifahrer? Der Sicherheitsmann im Donau-Informationszentrum? Die alten Frauen in ihren geblümten Kittelschürzen und die bauchigen, stoppelbärtigen Männer in ihren gestreiften Polohemden, die schon seit Jahrzehnten in den Cafés sitzen? Vielleicht die trägen Hunde? Verzweiflung und Langeweile sind mögliche Gründe für Poesie. Das Verloren gehen im Schilf….das Versumpfen, die Auflösung….das Ausharren….