Interview bei Stage Poets 22.3.16

12771832_1301753893173984_7437412589136724935_oUrsprünglich als Facebook Live-Interview am 22.3.2016 in der Facebook Gruppe „Stage Poets“. Das Interview führte Pierre Jarawan für Stage Poets.

 

 

 

Stage Poets
Lieber Dirk, schön, dass du dir die Zeit nimmst. Du bist Frankfurts Slampionier, hast 1996 dort den ersten Slam veranstaltet. Wie war das damals? Und wie sah Slam damals in Deutschland aus?

Dirk Huelstrunk
Damals gab es keine Slam Szene und keine Slam Poeten. Ich habe einfach das Format der „Offenen Bühne“ erweitert, inspiriert von ein paar TV-Beiträgen über das Nuyorican Poets Cafe. Meine ersten Veranstaltungen waren die Anhängsel einer Lesereihe für junge Literatur, die ich im Frankfurter Club Voltaire veranstaltet habe. 10 Autoren lasen jeweils 10 Minuten und wurden von 5 Leuten aus dem Publikum bewertet. Das waren die normalen Hobbydichter – vom 80jährigen EX KZ-Häftling, der aus seinen Erinnerungen gelesen hat bis zum Frühlingsgedicht. Was „Performance“ ist, wusste damals keiner. Und auch das Publikum war anfangs etwas zäh.

Stage Poets
Wie lange hat es gedauert, bis diese Veranstaltungsreihe sich etabliert hat? War der Trend damals schon abzusehen?

Dirk Huelstrunk
Einen Trend konnte ich nicht erkennen, aber das starke Bedürfnis nach neuen Formaten und Ansätzen für Literatur. Es gab ja schon als Vorläufer die Social-Beat Bewegung, eine Art junge Untergrundliteratur mit grossen Bühnenfestivals in Clubs. Aber die meisten Autoren dieser Szene fanden die Slamidee scheiße und lehnten den Wettbewerb ab. 1998 habe ich dann im Münchner Substanz meinen ersten echten Poetry Slam gesehen und dann vermittelt über das Frankfurter Lokalradio Radio X Jürgen Klumpe und Halvor Schiffke vom studentischen BCN Cafe an der Fachhochschule Frankfurt kennen gelernt. Unsere erste Veranstaltung war im Oktober 1998 noch mit Unterstützung von Rayl und KO. Einen Monat später haben wir schon an den Nationals in München teilgenommen. Und ab da lief es und die Veranstaltungen waren immer extrem voll.

Stage Poets
Heute scheint Slam im Mainstream angekommen. Viele finden das sehr gut, weil es Poeten möglich macht, davon zu leben. Andere trauern dem Subkultur-Status ein wenig hinterher. Wie siehst du persönlich diese Entwicklung?

Dirk Huelstrunk
Für mich sind die Begriffe Underground oder Subkultur nicht mehr so relevant. Ich freue mich überwiegend über Popularität von Poetry Slam und vor allem darüber, dass wir so vielen Menschen einen Zugang zur Literatur ermöglicht haben. Natürlich gibt es auch Entwicklungen, die mir nicht so gefallen. Für mich war der Wettbewerb immer ein dramatisches Element um das Publikum einzubinden mit parodistischem Gehalt. Heute wird er deutlich ernster genommen. Inhaltlich sehe ich eine Vereinheitlichung der Stile als Problem und ganz unangenehm finde ich die Vereinnahmungsversuche von Parteien oder Unternehmen, die Slam als neues Werbemittel ansehen. Ich glaube, da sind viele Slamveranstalter und Autoren zu unkritisch. Für mich ist Poetry Slam eine Veranstaltung des „freien Wortes“ und eine Einschränkung dessen aus politischen oder werblichen Gründen ein NO-GO.

Stage Poets
Du hast dich vor ein paar Monaten als Veranstalter des Slams im Café1 in Frankfurt zurückgezogen. Warum?

Dirk Huelstrunk
Ich habe diese Veranstaltung 18 Jahre lang aufgebaut und betreut und irgendwann war mal gut. Ich brauche gelegentlich mal was Neues. Ich will mich auch wieder mehr auf meine eigenen Projekte konzentrieren. Ich habe mich ja damit ein wenig vom Slam weg entwickelt, mach vor allem Soundpoetry und intermediale Projekte und bin auch hier in eine spannende neue und sehr internationale Szene geraten irgendwo zwischen Neuer Musik, Bildender Kunst und Literatur. Das eröffnet mir ganz neue Möglichkeiten, auch zwischen den Genres zu springen. Ich werde aber weiter freie Poetry Slam Projekte organisieren, auch zusammen mit meinem Kollegen Jürgen Klumpe, z.B. den Dead Poets Slam zur Nacht der Museen in Frankfurt, den U20 Poetry Slam oder den Jazz Poetry Slam und viele mehr.

Stage Poets
Auf deiner Website bezeichnest du dich auch als „Soundpoet“. Warum ist dir diese Verbindung von gesprochenem Wort und anderen Elementen wichtig? Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich dadurch für dich?

Dirk Huelstrunk
Mich hat schon immer der Klang von Sprache fasziniert und wie sehr unsere Rezeption von Sprache vom Klang beeinflusst wird. Der Klang wird unmittelbar emotional wahrgenommen und löst unmittelbare, unterbewusste und physische Reaktionen aus. Der Klang selbst hat ein starkes physisches Element. Im Kunstkontext spreche ich daher gerne mal von Klangskulptur…finden die immer geil….stimmt aber auch. Die Musiker hören natürlich mehr die Komposition. Und da schwadroniere ich dann von Dichte und Textur und Wiederholung. Ich liebe es einfach, frei entscheiden zu können, wie genau das Verhältnis von Klang und Semantik sein kann. Ich benutze ja durchaus Worte und manchmal schreibe ich Sachen, die fast als Gedicht durchgehen, aber es funktioniert auch völlig ohne Worte oder nur mit einem Wort. Für mich ist das eine neue Poesie, die zwischen den Genres entsteht und mit der extrem flexibel ist, experimentell und dennoch emotional UND sie ist international verständlich ohne (oder nur mit minimaler) Übersetzung.

Stage Poets
Was stehen denn in den kommenden Wochen und Monaten für Projekte für dich an?

Dirk Huelstrunk
Anfang April bin ich Gast beim dem Festival „Poesie En Voz Alta“ in Mexico City, in das mich Nora Gomringer geschleust hat. Anschließend geht es weiter nach Finnland. Hier mache ich ja seit 2008 regelmäßig Projekte. Diesmal bin ich bei dem Dada-Festival „Mad House Helsinki“, danach gebe ich einen Workshop zum Thema „Stimme und Audiotechnik“ in Turku und werde noch bei einem weiteren Festival in Finnland performen. Im Mai bin ich dann mit meinem „Büro für überflüssige Worte“ Gast der Stadtbücherei Frankfurt. Das ist ein neues interaktives Installations/Performance Projekt. Man kann mir dort „überflüssige“ oder „unbrauchbare“ Worte abgeben…so eine Art Müllabfuhr für Worte. Vielleicht läuft dann alles wieder flüssiger und effektiver. Und dann bekommt man ein Wort in einer „echten“ erfundenen Sprache zurück. Am Ende gibt es natürlich eine Performance. Habe ich letztes Jahr für ein Projekt in Finnland entwickelt und das hat riesigen Spaß gemacht, vor allem wegen der vielen Diskussionen, die dabei entstehen. Und dann sollte es auch bald wieder mal Bücher geben – ein Buch mit meinen minimalistischen Texten ist schon in konkreter Planung, für meine Spoken Word Texte suche ich noch einen Verlag. Und eine aktuelle CD sollte es vielleicht auch bald mal wieder geben. Ich bin also ziemlich ausgelastet.

Stage Poets
Das ist schön zu hören. Lieber Dirk, vielen Dank für deine Zeit und alles Gute für deine Projekte!

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