Mahlzeit – überflüssige Wörter bei Open Books 3

Ortswechsel. Aufbau des Büros in der mittelalterlichen Schwanenhalle des alten Frankfurter Rathauses Römer, Ort des ältesten Frankfurter Literaturfestivals. Durchgangshalle mit Lesesofas und Büchertischen. Bis zu drei Lesungen parallel in den Hallen nebenan. Jeder Laut wird durch die hohen Hallen verstärkt. Das Schieben eines Stuhls, selbst das Fallen eines Stiftes lässt mich den Atem anhalten. Direkt gegenüber hat sich ein Caterer mit Suppe und Brezeln platziert.  Vielleicht erklärt das, warum das heutige Unwort des Tages „Mahlzeit“ lautet.

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-Gemeint ist nicht die „Mahlzeit“ als Gericht, sondern der in vielen Firmen und Büro übliche Mittagsgruß, eine schnell und oft gesagte Floskel, ebenso wie „Gesundheit“, „Guten Tag“, „Hallo“, „wie geht´s“.  Doch keine der anderen Floskeln hat ein derartiges Erregungspotenzial. Wo ist das Problem? Ursprünglich hieß es mal „gesegnete Mahlzeit“. Wird die Kürzung als Blasphemie empfunden? Als unanständige Profanisierung?

Ich höre diesen Gruß fast nie, arbeite ja auch selbstständig, und frühstücke meist noch, wenn andere schon in die Mittagspause eilen. Immerhin habe ich auch einen Büroarbeitsplatz, aber hier sagt niemand Mahlzeit.

Zugegeben, das Wort ist nicht mehr taufrisch, stammt vermutlich aus dem Mittelalter. Mahlzeit bezeichnet die festgelegte Zeit zum Essen. In vielen Firmen gibt es bis heute streng und eng gelegte Mittagspausen. Vielleicht ist das die Quelle der Erregung: der Zwang, dass alle Kollegen zur gleichen Zeit ein Standard-Kantinen-Essen zu sich nehmen müssen. Je nach Qualität der Kantine und dem Verhältnis zu den Kollegen kann diese Zwangspause durchaus unangenehm werden. Mittagzeit ist auch die Zeit des Kollegentratsches, im schlimmsten Fall auch des Mobbing. Dazu die Anstrengung diese Floskel in großen Firmen extrem oft in den Mund nehmen zu müssen, der Zwang jedem einzelnen Kollegen ein „Mahlzeit“ hinwerfen zu müssen. Das kann ermüden.

Jemand schreibt zu „Mahlzeit“ in mein Gästebuch: „hingeworfen, weil es immer so war, ohne Nachdenken, was es für den Angesprochenen bedeutet, spießig, miefig, übrig geblieben.“

Mein Verdacht: alle unangenehmen Aspekte der Büroarbeit in großen Firmen werden in diesen Begriff hineinprojiziert. Monotonie und standardisierte Wiederkehr der gleichen Abläufe, Zwang zur Anpassung, automatisierte Floskelhaftigkeit der Kommunikation, Frust darüber, dass selbst die Mittagspause den gleichen Zwängen unterworfen ist, wie die Arbeitszeit. Und der Klang? Erinnert das vielstimmige „Mahlzeit“ nicht an das Blöken einer Herde Kühe?

Neben „Mahlzeit“ kommt heute auch wieder „eigentlich“ zum Zuge. Mein Trick: ich habe alle „eigentlich“ Karten von meiner Pinnwand entfernt und hänge die neuen auch nicht gleich auf. So glauben alle, sie wären die ersten, die dieses Wort abgeben. „Eigentlich“, „aber“, „sozusagen“ stehen auf meiner Hitliste „überflüssiger Wörter“ heute ganz oben. Offenbar ein Ausdruck für die Sehnsucht der Menschen nach einer klaren, eindeutigen Sprache (in einer klaren, eindeutigen Welt. Kann man verstehen, bei der aktuellen Unübersichtlichkeit des Seins. Relativierungen sind nicht beliebt. Andererseits, denke ich, wenn wir nicht mehr relativieren könnten, wenn wir nur noch auf unseren (eindeutigen) Positionen beharren, werden Zusammenleben und gegenseitiges Verständnis nicht grade erleichtert. Wie soll ich differenzieren, wenn ich nicht mehr „ja, aber sagen“ kann, einerseits oder andererseits abwägen und auf den „eigentlichen“ Kern meiner Idee hinweisen kann?

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